Helga Pöcheim ist Intendantin des Via Iulia Augusta Kultursommers in Köschach-Mauthen.
Helga Pöcheim ist Intendantin des Via Iulia Augusta Kultursommers in Köschach-Mauthen.

© Andreas Lutche

Interview mit Helga Pöcheim

„Nach­hal­tig­keit hat auch eine sozia­le Dimen­si­on.“

Als Intendantin des Via Iulia Augusta Kultursommers bietet Mag. Helga Pöcheim seit mittlerweile zwölf Jahren musikalische Feinkost entlang der antiken Römerstraße im oberen Gail- und Drautal. Auch heuer stehen wieder spannende musikalische Erlebnisse, aber auch Kulturreisen und -wanderungen im Grenzgebiet zwischen Kärnten und Italien auf dem Programm.

Seit 2012 ist Mag. Hel­ga Pöch­eim Inten­dan­tin des Via Iulia Augus­ta Kul­tur­som­mers in Kösch­ach-Mau­then, Del­lach im Gail­tal und Ober­drau­burg. Das Fes­ti­val bie­tet jedes Jahr musi­ka­li­sche Fein­kost an aus­ge­wähl­ten Orten ent­lang der anti­ken Römer­stra­ße. Unter dem Mot­to „woher? wohin?“ ste­hen in der heu­ri­gen Aus­ga­be Men­schen in Bewe­gung und ver­schie­dens­te Aspek­te der Orts­ver­än­de­rung im Mit­tel­punkt – von wel­ten­bumm­le­ri­scher Wan­der­lust bis hin zur Ver­trei­bung durch Umwelt­ka­ta­stro­phen und Gewalt. Wir haben mit Hel­ga Pöch­eim über ihre Arbeit als Inten­dan­tin, Kärn­ten als Lebens­raum und natür­lich über das heu­ri­ge Pro­gramm des VIA-Kul­tur­som­mers gespro­chen.

MEINE FREIZEIT: Lie­be Frau Pöch­eim, Sie sind seit zwölf Jah­ren Inten­dan­tin des Via Iulia Augus­ta Kul­tur­som­mers. Was ist das Beson­de­re an die­ser Kon­zert­rei­he?

Hel­ga Pöch­eim: Der Via Iulia Augus­ta Kul­tur­som­mer ist ein Fes­ti­val, bei dem die Ober­kärnt­ner Gemein­den Kötschach-Mau­then, Del­lach im Gail­tal und Ober­drau­burg täler­über­grei­fend zusam­men­ar­bei­ten. Es ver­knüpft musi­ka­li­sche Fein­kost mit der Schön­heit der Land­schaft, Geschich­te und aktu­el­len The­men. Inter­na­tio­nal bekann­te Grö­ßen und auf­stre­ben­de Talen­te tre­ten auf, sie ver­wöh­nen das Publi­kum mit „Musik aus allen Rich­tun­gen“, von Klas­sik über Jazz bis Musik aus aller Welt. Jede Sai­son ist eine Ent­de­ckungs­rei­se durch die Viel­falt der Musik­sti­le und durch die Gegend, die zwar etwas abge­le­gen ist, aber viel zu bie­ten hat. Wir locken das Publi­kum an außer­ge­wöhn­li­che Orte, die meis­ten davon im Frei­en, wo man neben­bei viel Wis­sens­wer­tes erfährt. So wird der Kon­zert­be­such zum Rund­um-Erleb­nis. Wich­tig ist die unge­zwun­ge­ne Atmo­sphä­re in einem stim­mungs­vol­len Ambi­en­te. 
Der VIA Kul­tur­som­mer schafft Gele­gen­heit und Raum für Begeg­nun­gen, die den Hori­zont erwei­tern und die See­le näh­ren.

MFZ: Was moti­viert Sie bei der Arbeit als Inten­dan­tin?

HP: Es macht viel Freu­de, das Pro­gramm zu gestal­ten, Leu­te zusam­men­zu­brin­gen und gute Ener­gie in Umlauf zu brin­gen. Das ist ein näh­ren­der Kreis­lauf, die mühe­vol­le Detail­ar­beit lohnt sich und trägt Früch­te. Ich bin stän­dig in Kon­takt mit inter­es­san­ten und außer­ge­wöhn­li­chen Per­sön­lich­kei­ten, schon das ist eine gro­ße Berei­che­rung. Das VIA-Team und ich erfah­ren Wert­schät­zung und sehr viel wohl­wol­len­de Unter­stüt­zung. Die bes­te Moti­va­ti­on ist natür­lich immer wie­der der Moment, wenn sich das Publi­kum ver­sam­melt hat, die Künst­le­rIn­nen die Büh­ne betre­ten und die Musik beginnt. Dann pas­siert etwas Magi­sches, das den Men­schen und der Gegend gut tut.

MFZ: Das Mot­to 2024 lau­tet „woher? wohin“. Was ist die Idee dahin­ter?

HP: Die Idee ist, ver­schie­de­ne Aspek­te von Orts­ver­än­de­rung zu beleuch­ten, frei­wil­lig Rei­sen­de und Men­schen, die durch äuße­re Umstän­de dazu gezwun­gen sind. Das Pro­gramm ruft uns, immer ver­bun­den mit Musik, die unter­schied­li­chen Vor­zei­chen und Beweg­grün­de ins Bewusst­sein. Kli­ma­ti­sche Bedin­gun­gen und Natur­ka­ta­stro­phen, Krieg, Gewalt und wirt­schaft­li­che Not zwin­gen Men­schen zu allen Zei­ten, ihre Hei­mat zu ver­las­sen und in der Frem­de Zuflucht zu fin­den. Wir beschäf­ti­gen uns etwa mit der Aus­wan­de­rungs­be­we­gung nach Ame­ri­ka und Kana­da im 19. und 20. Jahr­hun­dert, spe­zi­ell aus dem Gail­tal. Das gibt Impul­se für einen „ande­ren Blick“ auf die Beweg­grün­de der Migran­tIn­nen unse­rer Tage. Der Bogen reicht von der Musik jüdi­scher Kom­po­nis­ten, die von den Nazis zur Emi­gra­ti­on gezwun­gen wur­den, über Klez­mer und Gipsy-Musik bis hin zu star­ken Frau­en­stim­men aus der ara­bi­schen Welt. Natür­lich ist auch Platz für das lust­vol­le „Stra­wan­zen“ durch die Klang­wel­ten.

MFZ: Auf wel­che Pro­gramm­high­lights darf sich das Publi­kum heu­er freu­en?

HP: Ins­ge­samt ste­hen 12 Ver­an­stal­tun­gen auf dem Pro­gramm der heu­ri­gen Spiel­zeit: neun Kon­zer­te in den VIA-Gemein­den, ein Vor­trag mit hoch­ka­rä­ti­ger Musik-Beglei­tung, eine Rei­se nach Aqui­leia und eine Wan­de­rung über den Plö­cken­pass, jeweils ver­bun­den mit einem Kon­zert. Musi­ka­lisch ist das Pro­gramm heu­er wie­der sehr breit gestreut. Von Gypsy-Klez­mer-Bal­kan-Jazz über Swing mit einer Dreh­or­gel, ara­bi­sche Folk­lo­re und feder­leich­ten Klang­ex­pe­ri­men­ten bis hin zum klas­si­schen Sere­na­den­kon­zert ist für jeden Musik­ge­schmack etwas dabei. Außer­dem gibt es für die Klei­nen VIA-Besu­cher und ihre Erwach­se­ne ein Mit­mach­kon­zert mit Tanz, Musik und Knet­mas­se. Die Eröff­nungs­re­de am 12. Juli hält der aus dem Gail­tal stam­men­de Kul­tur­ma­na­ger, Kul­tur­po­li­ti­ker und öster­rei­chi­sche Bot­schaf­ter a. D. in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten, Dr. Wolf­gang Wald­ner.

MFZ: Sie haben Ihren Lebens­mit­tel­punkt letz­tes Jahr von Wien wie­der nach Kärn­ten zurück ver­legt. Was macht die­ses Bun­des­land für Sie beson­ders?

HP: Es ist „mein“ Bun­des­land, die Gegend, in der ich auf­ge­wach­sen bin und die mich geprägt hat.
Die schier unglaub­li­che Schön­heit und Viel­falt der Land­schaft, die bekom­men wir geschenkt. Die geo­po­li­ti­sche Lage, das Anein­an­der­gren­zen des ger­ma­ni­schen, roma­ni­schen und sla­wi­schen Kul­tur­raums, die (mitt­ler­wei­le wie­der) geleb­te gute Nach­bar­schaft – das ist eine nicht selbst­ver­ständ­li­che Kul­tur­leis­tung. Die hohe Dich­te an krea­ti­ven und inno­va­ti­ven Köp­fen, die sich enga­gie­ren für ein gutes Zusam­men­le­ben und die Her­aus­for­de­run­gen unse­rer Zeit in ihren jewei­li­gen Fach­ge­bie­ten sehr ernst neh­men, vom kli­ma­be­wuss­ten Wirt­schaf­ten bis hin zur Bewah­rung von altem Kul­tur­gut.

MFZ: Ihre Gedan­ken zur sozia­len und öko­lo­gi­schen Nach­hal­tig­keit in Kärn­ten. Was ist noch zu tun? Was tra­gen Sie selbst bei?

HP: Kärn­ten ist in vie­len Berei­chen Vor­rei­ter, zum Bei­spiel bei der Strom­erzeu­gung aus erneu­er­ba­rer Ener­gie, bei der Ver­brei­tung des Slow-Food-Gedan­kens mit nach­hal­ti­ger Land­wirt­schaft, mit Green-Tech Kom­pe­tenz­zen­tren und vie­len loka­len Initia­ti­ven. Es stimmt mich zuver­sicht­lich, dass Kärn­ten als ers­tes öster­rei­chi­sches Bun­des­land sein Regie­rungs­pro­gramm an den Nach­hal­tig­keits­zie­len der Ver­ein­ten Natio­nen aus­rich­ten will. Die sozia­le Dimen­si­on von Nach­hal­tig­keit wird mei­ner Mei­nung nach zu wenig beach­tet – auch gro­ße Unter­neh­men müs­sen sich ihrer gesell­schaft­li­chen Ver­ant­wor­tung bewusst sein – Pro­fit­ma­xi­mie­rung, womög­lich noch mit Zuwen­dun­gen der öffent­li­chen Hand, darf nicht das ein­zi­ge Ziel sein. Es braucht wahr­schein­lich mehr Bil­dungs­an­ge­bo­te, nicht nur zur beruf­li­chen Wei­ter­bil­dung, son­dern auch zur Infor­ma­ti­on und Dis­kus­si­on über gesell­schaft­li­che Zusam­men­hän­ge und den Umgang mit Res­sour­cen. Mein klei­ner Bei­trag ist, aktu­el­le The­men auf­zu­grei­fen und mit mög­lichst vie­len loka­len und regio­na­len Akteu­ren aus ver­schie­de­nen Berei­chen zusam­men­zu­ar­bei­ten, auch grenz­über­schrei­tend.

MFZ: Im Rah­men des VIA Kul­tur­som­mers gibt es immer wie­der Koope­ra­tio­nen mit der ita­lie­ni­schen Nach­bar­re­gi­on Fri­aul. Gibt es Orte, die Ihnen ganz beson­ders am Her­zen lie­gen oder Frei­zeit­be­schäf­ti­gun­gen, denen Sie in der Grenz­re­gi­on ger­ne nach­ge­hen?

HP: Die Koope­ra­ti­on mit ita­lie­ni­schen Ver­an­stal­tern ist im Rah­men von zwei Inter­reg-Regio­nal­ent­wick­lungs­pro­jek­ten ent­stan­den und gut eta­bliert – übri­gens ein gelun­ge­nes Bei­spiel für Nach­hal­tig­keit. In die­sem Zusam­men­hang habe ich unter ande­rem Mal­bor­ghet­to im drei­spra­chi­gen Kanal­tal ent­deckt. Sehr zu emp­feh­len: das Fes­ti­val Riso­nan­ze, das dort noch bis 30. Juni statt­fin­det. Jede der klei­nen Ort­schaf­ten am Fuße des Plö­cken­pas­ses, von Timau bis Tol­mez­zo, ist eben­falls einen Besuch wert! Mit der aktu­el­len Sper­re des Plö­cken­pas­ses nach dem Fels­sturz – eine Kata­stro­phe für die Wirt­schaft – ist die Kon­takt­pfle­ge ein­ge­schränkt, man muss die Wan­der­schu­he anzie­hen, wenn man Freun­de und Bekann­te über den „kur­zen Weg“ tref­fen will. Der VIA Kul­tur­som­mer bie­tet dazu eine gute Gele­gen­heit: mit einer geführ­ten Wan­de­rung über den Pass und einem Kon­zert in der Trat­to­ria Laghet­ti bei Timau am 27. Juli.

MFZ: Was wür­den Sie sich für die Zukunft Kärn­tens und des Alpen-Adria-Rau­mes wün­schen?

HP: Ich wün­sche mir, dass sich die Regi­on als Frie­dens­re­gi­on wei­ter ent­wi­ckelt. Sie ist „reich an Kon­flik­ten, aber auch reich an Bei­spie­len für die Über­win­dung von Kon­flik­ten“, schreibt Cris­ti­na Beret­ta, Mit­her­aus­ge­be­rin des „Manifest|o Alpe-Adria“ (2020). Vor­aus­set­zung für die Über­win­dung und Hei­lung der Kriegs- und Nach­kriegs­trau­ma­ta ist wohl­wol­len­des Inter­es­se anein­an­der.
Die Mehr­spra­chig­keit Deutsch – Slo­we­nisch – Fur­lan – Ita­lie­nisch soll bewahrt und gut gepflegt wer­den. Wenn die Men­schen die kul­tu­rel­le und sprach­li­che Viel­falt in der Regi­on als Reich­tum sehen, wenn sie ler­nen, das Ver­bin­den­de höher zu bewer­ten als das Tren­nen­de, dann bringt das allen Vor­tei­le.

Via Iulia Augus­ta Kul­tur­som­mer 2024

12.07., 19:00 Uhr | Kul­tur­saal Del­lach – Capri­ce Vien­nois „Hei­te­res aus dem Exil“

16.07., 17:00 Uhr | Thur­ner Säge, Kötschach – Via Fami­glia „Spiel­tö­ne“

19.07, 19:00 Uhr | Restau­rant Erlen­hof, Mau­then – „Aus­ge­wan­dert“ lite­ra­risch-musi­ka­li­sche Refle­xi­on über die Kärnt­ner Ame­ri­ka­aus­wan­de­rung

25.07., 19:00 Uhr | Rui­ne Hohen­burg, Ober­drau­burg – Baba Yaga

27.07., 11.00 Uhr | Pfarr­kir­che Mau­then – Wan­de­rung über den Plö­cken­pass mit Kon­zert

28.07., 17:00 Uhr | Her­ku­les­tem­pel auf der Guri­na, Del­lach – Brix Trix „Som­mer­fri­sche“

01.08., 18:00 Uhr | Grün­see im Plö­cken­ge­biet – Tonč Fei­nig Trio „Lie­der von daheim und anders­wo“

03.08., 19:30 Uhr | Bahn­hof Kötschach – Diknu Schnee­ber­ger Trio „Swing de Vien­ne“
Vor dem Kon­zert um 18:00 Uhr: Film­vor­füh­rung „Wan­ko­stättn“, Regie: Karin Ber­ger

08.08., 19:00 Uhr | Pan­ora­ma­ter­ras­se des LKH Laas – De Stra­wanza

11.08., 7:00 Uhr | Rat­haus Kötschach – Stu­di­en- und Kon­zert­fahrt nach Aqui­leia und Mal­bor­ghet­to

16.08., 19:00 Uhr | Land­haus Sonn­leit­ner, Mau­then – Ober­ton String Octet „Sere­na­den­kon­zert“
Vor dem Kon­zert um 17:00 Uhr: Füh­rung durch die Bier­ma­nu­fak­tur Lon­ci­um

18.08., 18:00 Uhr | Lin­den­hof, Ober­drau­burg – Bas­ma Jabr & Fri­ends „Furat“
Nach dem Kon­zert: Big Table mit syri­schen und öster­rei­chi­schen Spe­zia­li­tä­ten

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