Wenn sich der politische Kopf eines Landes und ein führender Geistlicher über aktuell brennende Themen unserer Zeit austauschen, wirken die Worte lange nach. Dr. Peter Kaiser und Dr. Peter Allmaier gaben „Meine FreiZeit“-Herausgeber Andreas Lanner ihre Gedanken preis über die Gemeinsamkeiten politischer wie religiöser Glaubensbotschaften, über ein immer stärker gefordertes gesellschaftliches Miteinander sowie über notwendige Werte, Vertrauen und Orientierung.
Andreas Lanner: Aktuell machen uns viele Krisen zu schaffen. Wie können wir trotzdem Hoffnung schöpfen für die Zukunft?
Landeshauptmann Dr. Peter Kaiser: Ich fürchte, dass nicht nur der Ukraine-Krieg länger dauern wird, als wir alle hoffen. Wir sitzen auf einem Pulverfass genannt Planet Erde, bei dem jeder Tag, an dem wir nicht nachhaltig gegensteuern, schlimm ist. Zusätzlich hat Covid den Menschen viel abverlangt. Aus all dem heraus wächst eine zusätzliche Armutsgefährdung. In Summe immense Herausforderungen. Und trotzdem: Es ist gerade die menschliche Natur, die hier in Gemeinsamkeit all dem gegensteuern muss. Man darf vor Herausforderungen, auch wenn sie bitterster Natur sind, nicht davonlaufen. Wir müssen uns ihnen, mit all dem, was wir einbringen können, stellen. Das geht weit über politische Grenzen hinaus. Gemeinsam – auch mit der Kirche – sind wir stärker, um all dem zu begegnen.
Dr. Peter Allmaier: Ich glaube ebenfalls, dass wir in Zukunft das Gemeinsame stärker betonen müssen, weil wir in unserer Gesellschaft eine starke Trennung haben. Aufgrund der großen Krisen, die uns aktuell fordern – ökonomisch und ökologisch gesehen – müssen wir uns aber auch als handlungsfähig erweisen. Wenn Menschen zu lange und zu oft das Gefühl haben „da kann man eh nix machen“, erlernt man eine gewisse Untätigkeit. Deshalb müssen wir als Kirche und als Politik zeigen, dass wir etwas verändern wollen und können.
LH Dr. Peter Kaiser: Mir gefällt dein Beispiel von Ökologie und Ökonomie. Denn beiden wohnt ja der griechische Wortstamm ‚Haushalt‘ inne. Wir müssen mit den Ressourcen, die wir haben, haushalten. Das wird eine Veränderung der Wertewelt mit sich bringen. Bis vor kurzem war das Streben nach Mehr auch das von der Werbung propagierte Heil auf Erden. Ich denke, dass wir jetzt schätzen lernen, was Friede bedeutet, was genügend Nahrung bedeutet oder leistbare Bereiche wie Wohnen, Energie oder Mobilität.
Andreas Lanner: Wir spüren die Grenzen des Wachstums. Trotzdem braucht es auch Zuversicht. Peter, deine Profession ist es, den Menschen täglich Hoffnung zu spenden. Was hat sich dabei in den letzten zwei Jahren verändert?
Dr. Peter Allmaier: Sehr viel. Die Hoffnungslosigkeit ist spürbar. Doch es ist die Aufgabe der Kirche, künftig noch stärker zu zeigen: Die kleine, alltägliche Hoffnung braucht den Horizont einer großen Hoffnung. In diesem Horizont kann man die kleine Hoffnung gut leben. Aber wenn die große fehlt, fehlt auch die kleine. Deshalb müssen wir miteinander arbeiten. Wir müssen schauen, dass die Menschen wieder auf-
einander zugehen und miteinander arbeiten, um eine gute Zukunft zu gestalten.
Andreas Lanner: In diesem Zusammenhang sprechen wir oft von enkeltauglicher Politik.
Dr. Peter Allmaier: Enkeltauglichkeit ist für mich auch ein demokratischer Ausdruck. Denn die Menschen, die in Zukunft leben werden, sind mengenmäßig mehr als wir jetzt. Sie haben die größere Stimme. Wir müssen ihnen heute schon Recht geben, damit sie später lebenswürdige Bedingungen vorfinden.
Andreas Lanner: Allerdings ist es nicht immer einfach, die Menschen mit Fakten zu erreichen. Wie kann es der Politik trotzdem gelingen, den Leuten ihre Botschaften zu vermitteln?
LH Dr. Peter Kaiser: Wer in der Politik tätig ist und das auch lebt, wird in der Kommunikation nicht so große Probleme haben. Aber die Masse an Kommunikationsversuchen von unendlich Vielen macht es schwer, herauszufiltern, was von Bedeutung ist. Das heißt, dass man politische Botschaften inszenieren muss, um eine Chance auf Wahrnehmung zu haben.
Andreas Lanner: Gilt das auch für die Kirche?
Dr. Peter Allmaier: Genauso. Es glaube, es wird sich aber auch die Gesellschaft wandeln. Wir müssen erst lernen mit dieser Menge an Inhalten und Kommunikationsmitteln umzugehen. Die Botschaft zu inszenieren ist zwar notwendig, aber am Ende laufen wir dadurch Gefahr, dass Populisten irgendwann die Oberhand gewinnen.
Andreas Lanner: Trotzdem braucht es Menschen zum Angreifen. Allerdings wird es immer schwieriger, sie für die Politik oder das Ehrenamt zu begeistern. Wie kann man beides wieder attraktiver machen?
Dr. Peter Allmaier: Vielleicht kann man da von der Kirche lernen. Lange Zeit haben die Katholische und die Evangelische Kirche gemeint, sie können Anhänger gewinnen, in dem sie gegen den anderen agieren. Zum Glück haben wir gelernt: Das bringt gar nichts! Wir haben ein sehr vertrauensvolles, wertschätzendes und freundschaftliches Miteinander gelernt. Ich glaube, das könnte sogar ein Vorbild sein für die Politik. Du bist ja selbst ein gutes Beispiel dafür, dass man über den politischen Gegner, wenn man so sagen darf, einfach nicht schlecht redet. Man erkennt die andere Sichtweise an und kann vernünftig und fair miteinander reden. Aber genau das fehlt ein bisschen in der gesamten Politik Österreichs.
LH Dr. Peter Kaiser: Das möchte ich unterstreichen, was du sagst. Und die Kirchen können hier durchaus als beispielgebend herangezogen werden. Bei der Flüchtlingswelle etwa haben die evangelische und katholische Kirche sowie die islamische Glaubensgemeinschaft und die orthodoxen Kirchen gemeinsam mit der Politik vieles geleistet. Häufig im Hintergrund, ohne dass man es gesehen hat. Viele Freiwillige haben hier Humanität gelebt und das war für mich bewundernswert.
Andreas Lanner: Gibt es Ähnlichkeiten bei den Tätigkeiten eines Landeshauptmanns und eines Dompfarrers?
Dr. Peter Allmaier: In beiden Fällen haben wir Verantwortung für andere Menschen und für unsere Institution. Und in beiden Fällen wollen wir am Thema Bewusstsein arbeiten, um das Miteinander zu fördern. So gesehen sind die großen Ziele vermutlich ähnlich.
LH Dr. Peter Kaiser: Rituale – auch das ist eine Gemeinsamkeit von Kirche und Politik – sind so etwas wie Vertrauens- und Orientierungspunkte, die für die Menschen sehr wichtig sind. Für mich ist das beispielsweise der 1. Mai, wo man aus der Tradition heraus bis heute merkt, dass sich eine Idee zwar immer wandelt, aber gleichzeitig jung geblieben ist. Das ist bei vielen kirchlichen Festen genauso.
Dr. Peter Allmaier: Gerechtigkeit ist für die Kirche ebenfalls ein wichtiges Thema. Wir gehen dabei von einem Begriff der Geschwisterlichkeit aus. Es gibt also nicht eine Gerechtigkeit, die abstrakt ist, sondern ich werde immer einem Menschen gerecht. Zusätzlich weiten wir den Begriff auf die Natur aus. Ich muss also mit allem wertschätzend und ehrfürchtig umgehen. Es ist wichtig, das zu lernen. Zu lernen, dass wir alle einen gleichen Ursprung haben und ein gemeinsames Ziel.